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Wie man einen Feind erzeugt

2008-04-03
 

Studenten-Website aus China: anti-cnn.com

27. März 2008 Aus der Tibet-Krise ist ein Kommunikationszusammenbruch zwischen chinesischer und westlicher Öffentlichkeit entstanden, den man fast schon einen Kulturkampf nennen muss. Im Westen herrscht die Meinung vor, bei den unkorrekten, zum Teil manipulativen Darstellungen der tibetischen Ereignisse durch einige Medien handele es sich bloß um handwerkliche Fehler, die aber an der Gesamteinschätzung nichts ändern könnten. Die Chinesen, die sich in Medienkritik üben, werden in Internetdiskussionen, auch in Deutschland, als „Regierungsclaqueure" oder gar als „gehirngewaschen" beschimpft, da sie nicht zugleich auf die chinesische Zensur und Medienabschottung hinwiesen und auch über die Unterdrückung der Tibeter kein Wort verlören.

In China dagegen sind nicht nur Regierungskreise, sondern auch weite Teile der Bevölkerung, soweit sie sich in Alltagsgesprächen und Internetforen äußern, von Grund auf über die westliche Behandlung des Themas empört. Wo Chinesen auf offener Straße erstochen oder erschlagen wurden und in ihren angezündeten Häusern verbrannten, gebe der Westen das als chinesische Gewalt aus und solidarisiere sich mit den Mördern; ja, er verwehre es den Behörden dann auch noch, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Könne es einen schlagenderen Beweis geben für die Voreingenommenheit nicht bloß gegen den chinesischen Staat, sondern gegen die Chinesen selbst, und den Willen, ihnen übelzuwollen? Viele Blogger wundern sich über die Geschlossenheit des westlichen Meinungsbilds und scheuen ihrerseits nicht vor dem Etikett „Gehirnwäsche" zurück.

Widerstand gegen den hegemonialen Diskurs des Westens

Eine Website von Studenten namens www.anti-cnn.com (siehe auch http://www.anti-cnn.com/) , die es inzwischen schon auf die Titelseite der Staatszeitung „China Daily" gebracht hat, ruft Chinesen in der ganzen Welt dazu auf, von nun an Beispiele für die Manipulationen westlicher Medien zu sammeln. „Das ist ein Widerstandskampf gegen den hegemonialen Diskurs des Westens", heißt es dort gut postkolonialistisch, um dann fast auf die Diktion von Bushs „Krieg gegen den Terror" umzuschwenken: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es ein langer, schwieriger und komplexer Kampf werden wird."

Wenn sich beide Seiten der Gehirnwäsche bezichtigen, also verdächtigen, fremdgesteuert zu sein, scheint es für eine Verständigung gar keinen Boden mehr zu geben. Eine Website präsentierte unter der Überschrift „Dummköpfe gibt es jedes Jahr, aber dieses Jahr besonders viele" Fotos von westlichen Protestaktionen, Zettel mit der Aufschrift „China Stop killing Tibetans", die an Terrakotta-Figuren im Museum heften, oder eine blonde Frau vor dem Brandenburger Tor mit dem Schild: „China – would you shoot me too?" In einem nachdenklichen chinesischen Blog namens „Vergangene Kleinigkeiten an einer Tränke" heißt es dazu: „Ich glaube nicht, dass diese deutsche Frau dem Dalai Lama hilft. Sie und ihre Freunde schaden ihm nur, weil sie dafür sorgen, dass eine Tür geschlossen wird, ohne eine Möglichkeit, sie wieder zu öffnen." Das einzige Ergebnis sei, dass sich die Chinesen so schnell wie nie zuvor unter der nationalen Fahne sammelten, bereiter denn je, auf Rechte und Freiheiten zu verzichten, um weitere Verletzungen und Beleidigungen von außen zu vermeiden. Die Schlussfolgerung des Bloggers: „Diese Westler helfen nicht ihren Freunden. Sie helfen nur dabei, einen Feind entstehen zu lassen und ein asiatisches Waisenkind."

Nationale Souveränität als Schutzschild

Dass es sich bei dieser Stimme keineswegs um einen „Regierungsclaqueur" handelt, zeigt sich schon daran, dass sie im Absatz zuvor ausführlich ein Verständigungshindernis der chinesischen Seite benannte: die historisch tiefverwurzelte Idee der „großen Einheit" von allem unter dem Himmel (tianxia), einer alten Umschreibung von China. „Alle Gedanken, die man dieser Einheit nicht zuordnen kann, werden als Gedanken einer anderen Gattung angesehen. Entweder werden sie verachtet oder mit Gewalt auf Linie gebracht." Das Verlangen nach Einheit, von der man Stabilität erwarte, sei eine Konstante der chinesischen Geschichte.

Ohne dass der Blogger das ausdrücklich sagt, mag dieses Grundmuster in der Tat dazu beitragen, dass sich viele Chinesen so schwer damit tun, sich in die Perspektive etwa von Tibetern zu versetzen oder überhaupt von Leuten, die um universeller Prinzipien willen diese Perspektive einnehmen. Im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert verschärfte sich dieses Grundmuster noch einmal, als China von den westlichen Mächten, die es überwältigten, die Kategorie der „Nation" übernahm. Seither sieht es in der „nationalen Souveränität" einen eifersüchtig gehüteten Schutzschild seines Selbstseins. Die Empfindlichkeit gegen jegliche „Einmischung in die eigenen Angelegenheiten" und die Neigung, Gründe für diese Einmischung als pure Ideologie anzusehen, sind nicht erst mit der Kommunistischen Partei entstanden, sondern waren schon die entscheidende Antriebskraft der demokratischen „4.-Mai-Bewegung" von 1919.

Manipulierte Westler

Aus chinesischer Warte gibt es indessen auch im Westen ein Problem mit „dem anderen". Im Blog „Vergangene Kleinigkeiten an einer Tränke" heißt es von Westlern, die Chinesen für grundsätzlich unaufgeklärt und manipuliert halten: „Sie beugen sich voller Selbstbewusstsein zu diesen armseligen gelben Wesen herab und wollen ihnen eine helfende Hand reichen. Sie wollen die Chinesen beraten und erziehen. Diese Westler verkennen dabei, dass die Chinesen lebendige Menschen mit Gedanken und Gefühlen sind. Wie könnte man ohne Gleichberechtigung und Respekt von gegenseitigem Verständnis sprechen?"

Damit deutet der Blogger ein Paradox des Menschenrechts-Universalismus an, das auch im Westen bisweilen diskutiert wurde und das nun mit voller Wucht aufzubrechen scheint: Auf der einen Seite will dieser Universalismus die Rechte jedes anderen als anderen (in einer Formulierung von Richard Rorty) schützen, wer auch immer und wo auch immer er sei; auf der anderen Seite ist er mit dem Anspruch konfrontiert, dass die Anerkennung des anderen auch die Anerkennung unterschiedlicher Interpretationen bedeuten soll, worin diese Rechte überhaupt bestehen.

Ein Gegner wir konstruiert

Und noch eine Tücke steckt in der gegenwärtigen China-Kritik. Zum einen setzt sie die Existenz eines immer enger verflochtenen globalen Diskursraums voraus, in dem man sich über die allen gemeinsamen Grundprinzipien verständigen kann. Zum anderen aber sendet sie vermehrt die Botschaft aus: Wir wollen euch ausstoßen. Im Verlangen nach einem Olympiaboykott steckt ja der kaum verhüllte Wunsch nach einer Isolierung des Landes, nach der Konstruktion eines klar umrissenen Gegners. Im chinesischen Internet mehren sich zurzeit die Stimmen, die das begrüßen: Wenn ihr nicht kommen wollt, dann bleibt doch weg!

Es bedarf keiner umständlichen geopolitischen Erörterung, um zu erkennen, wie fatal eine solche Entwicklung wäre. Nicht von ungefähr hat ausgerechnet der Dalai Lama, der über die chinesische Regierungspolitik kein Blatt vor den Mund nimmt, die Olympischen Spiele in Peking mit dem Argument verteidigt, die Chinesen könnten mit Recht stolz auf sich sein. Die Achtung vor dem Volk ist durch die politische Kritik nicht in Frage gestellt. Durch die Pekinger Medienabschottung ist die Lage nun verfahrener denn je. Wem es mit der Beachtung universeller Prinzipien in der grausam zerrütteten tibetischen Region ernst ist und mit seiner Kritik gehört werden will, sollte bestrebt sein, das kommunikative Desaster zwischen China und dem Westen aufzulösen, statt es noch weiter zu verschärfen.

von Mark Siemons

Quelle: FAZ.NET

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