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Chinas neues Tor zur Welt

2010-05-18
 

Von Christian Geinitz, Schanghai

Die Expo-Stadt Schanghai will sich von der einfachen Industrie lösen und stattdessen Logistikzentrum für ganz Asien werden. Der größte Hafen der Welt ist schon gebaut. Ausgelastet ist er nicht.

17. Mai 2010 Der größte Hafen der Welt liegt abseits der Küste, mitten im Meer. Vom Festland führt eine fast 33 Kilometer lange Straßenbrücke dorthin, schnurstracks über die offene See. Die spektakuläre Donghai-Brücke zu Schanghais Tiefseehafen Yangshan gilt als zweitlängste Ozeanbrücke der Erde; die längste überspannt ganz in der Nähe die Bucht von Hangzhou. Der neue Hafen, der zur Hälfte schon in Betrieb ist, kostet mindestens 12 Milliarden Dollar. Nach der Fertigstellung 2020 sollen hier 30 Liegeplätze den Umschlag von 15 Millionen Standardcontainern im Jahr ermöglichen.

Dabei ist Yangshan nur eine von fünf Anlagen, die zusammen den Hafen Schanghai bilden. Im gesamten Frachtaufkommen habe man Singapur längst überholt, freut sich Yao Weifu, der Verwaltungsdirektor der Schanghaier Schiffsbörse SSE. Seit Dezember gelte das auch für die Container. „2010 wird Schanghai in jeder Hinsicht der größte Hafen der Welt sein." Yao rechnet mit einem Wachstum um 10 Prozent. Das ist in Zeiten, in denen es in der Seeschifffahrt alles andere als rosig aussieht, ein ambitioniertes Ziel.

Zweifel an der Auslastung

In der Krise hat auch Schanghai gelitten. Das Frachtaufkommen habe 2009 um fast 11 Prozent abgenommen, die Preise seien abgestürzt, sagt Yao. Selbst das Vorzeigeprojekt Yangshan macht einen alles andere als dynamischen Eindruck. Am Kai liegen kaum Schiffe. Nur selten rollen Lastwagen über die Riesenbrücke. Die auf der Landseite entstandene Hafenstadt Lingang, in der 800 000 Bewohner unterkommen sollen, wirkt wie ausgestorben. Seit 2003 baut der deutsche Architekt Meinhard von Gerkan die Retortenstadt um einen riesigen runden Kunstsee herum.

„Yangshan und Lingang sind Teil von Schanghais Versuch, sich vom Massenfertiger zum Logistik- und Dienstleistungszentrum zu entwickeln", sagt Max Henry, Leiter des örtlichen Global Supply Chain Council. „Leider ist das Projekt viel zu aufwendig und wurde in der Krise kräftig gerupft", findet der Franzose, der Chinas führendes Informationsunternehmen für das Lieferkettenmanagement aufgebaut hat. Die wirkliche Auslastung lässt sich nicht verifizieren, Schanghais Regierung und die Hafenverwaltung verweigern jedes Gespräch über Chinas neues Tor zur Welt.

Es gibt viele Vorbehalte gegen das Vorhaben. So steht es kaum im Einklang mit dem Ziel, mehr Güter auf die Schiene zu verlagern. In 18 Städten würden große Containerbahnhöfe gebaut, um die Warenströme zu entzerren, sagt Fang Dianjun, Direktor des Logistikunternehmens Do Logistics in Schanghai. In Chengdu entstehe der größte Containerterminal Asiens. „Aber auf der Brücke nach Yangshan gibt es nicht einmal eine Bahntrasse." Insgesamt sei es zweifelhaft, ob sich die Investitionen für den Tiefseehafen jemals auszahlten.

Konkurrenz zu Hongkong und Singapur

Trotz mancher Ungewissheit hält Schanghai daran fest, seine wirtschaftliche Ausrichtung grundlegend zu ändern. Der Plan sieht vor, die 19-Millionen-Metropole bis 2020 zu einem internationalen Logistik- und Finanzzentrum zu entwickeln. Dazu gehört auch der Ausbau der beiden Flughäfen Pudong und Hongqiao. Nach Eröffnung einer weiteren Landebahn und eines zweiten Terminals in Hongqiao ist Schanghai Chinas einzige Stadt mit fünf Pisten.

Der Hafen sieht sich in Konkurrenz zu Hongkong und Singapur. Fachleute bezweifeln nicht, dass Schanghai dauerhaft die Nummer eins in der Seefracht sein wird. Im Jangtse-Delta wohnen 80 Millionen Menschen, die etwa 20 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung erbringen; das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt Polens. In dieser Wachstumsregion ist Schanghai Metropole und Hauptumschlagplatz. „Hongkongs Stern sinkt, die Musik im Frachtgeschäft spielt in Schanghai", sagt Alexander Korte, Verkaufsleiter der Schweizer Spediteurs M+R Spedag in Schanghai. „Die Zentralregierung will das so."

Strittig ist jedoch, ob die Stadt wirklich zu einer internationalen Drehscheibe – einem „Hub" – werden kann. Anders etwa als in Singapur werden kaum Warenströme gebündelt und neu verteilt. In einem echten „Hub" würden 50 Prozent des Gesamtumschlags in Drittländer verfrachtet, erläutert Do-Logistics-Direktor Fang. In Schanghai sind es nur 6 Prozent. Schuld daran ist nach Meinung der EU-Handelskammer das geltende Recht. Es untersagt ausländischen Reedern, auf eigenen Schiffen Güter von einem Hafen zu einem zweiten zu bringen, um sie von dort außer Landes zu bringen. Dadurch entgingen Chinas Häfen jedes Jahr 2 Milliarden Yuan oder 7 Millionen Standardcontainer, die derzeit in Singapur oder Korea umgeladen würden.

Wirtschaftskrise hat Spuren hinterlassen

Der Stadt bleibt nichts anderes übrig, als sich zu modernisieren. Wegen der Ausrichtung auf einfache Exportgüter wie Kleidung, Schuhe oder Möbel ist die Krise vergleichsweise schlimm ausgefallen. Im besonders schwachen ersten Halbjahr 2009 wuchs die Wirtschaft nur um 5,6 Prozent – gegenüber 7,1 Prozent in ganz China. Die Industrie steuert noch immer 40 Prozent zur Wertschöpfung bei. Doch wegen der steigenden Kosten, der strikteren Auflagen und zunehmender Bürgerproteste wandern immer mehr Industriebetriebe ab. Allein 25 deutsche Unternehmen mussten ins Umland ziehen. Stattdessen versucht sich Schanghai im Aufbau neuer Branchen, etwa der Informations- oder Halbleitertechnik. In den Luftfahrtkonzern Comac, der erstmals eigene chinesische Passagierflugzeuge baut, werden 2 Milliarden Euro investiert.

Solange die neuen Wirtschaftszweige noch nicht Fuß fassen, profitiert Schanghai von einer Sonderkonjunktur: der Expo. Vor der Eröffnung der Ausstellung zählte man 6000 Baustellen im Stadtbild. Allein 18 Milliarden Yuan (2,1 Milliarden Euro) waren nötig, damit die U-Bahn rechtzeitig fertig wurde. Insgesamt werden die Expo-Ausgaben auf mindestens 20 Milliarden Euro beziffert. Nach ersten Schätzungen wird die Stadt sieben Jahre lang 2 Prozentpunkte ihres Wachstums der Leistungsschau verdanken.

(Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2010)

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