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Gelähmt von der China-Angst

2010-04-29
 

von Björn Conrad | Stephan Mergenthaler 

Im Teufelskreis globaler Handlungsunfähigkeit: Wie Chinas und Europas gegenseitige Paranoia globales Regieren behindert.

Eine konstruktive Zusammenarbeit mit China zur Lösung globaler Probleme ist eine der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit. Einen dramatischen Beleg dafür haben nicht zuletzt die gescheiterten Klimaverhandlungen von Kopenhagen geliefert. Deren klägliches Resultat zeigte eindringlich, dass zwischen den Hauptakteuren weiterhin kein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein herrscht: die USA, Europa und China schoben sich gegenseitig die Schuld für das historische Scheitern des Klimagipfels in die Schuhe.

Die wichtigsten Akteure des internationalen Parketts verwickeln sich immer tiefer in einen Teufelskreis gegenseitigen Misstrauens und machen dadurch globales Regieren zur fernen Utopie. Der Grund hierfür liegt auch im destruktiven Verhältnis zwischen China und Europa, denn durch ihre jeweils nach innen gerichtete Angst behindern sie sich gegenseitig auf der Suche nach einer gemeinsamen Rolle in der neuen Weltordnung.

China tut weiterhin alles, um auf globaler Ebene keine Verpflichtungen eingehen zu müssen, ganz treu dem Motto Deng Xiaopings "zurückhaltend beobachten und überlegt handeln, … niemals eine Führungsrolle einnehmen, sondern die eigenen Fähigkeiten verhüllen und die richtige Zeit abwarten, um Großes zu erreichen". In dieser Haltung Chinas spiegelt sich sowohl taktisches Kalkül, als auch ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber internationalen Vereinbarungen als potenzielles Einfallstor ausländischer Einflussnahme auf chinesische Innenpolitik wider. Beides hat die chinesische Führungsgarde in Kopenhagen dazu verleitet, keine Kompromisse einzugehen, und ein bindendes Abkommen geschickt zu unterwandern. Denn weiterhin ist das Gut, das von China auf globaler Ebene am aufrichtigsten verteidigt, wird die eigene nationale Souveränität.

Die Übernahme von globaler Verantwortung liegt großen Teilen der chinesischen Führung weiterhin fern. Die Tatsache, dass Peking als Reaktion auf die routinemäßigen amerikanischen Waffenlieferungen an Taiwan öffentlich Chinas Kooperation zur Lösung globaler Herausforderungen zur Disposition stellt, zeigt deutlich, dass die tonangebenden Fraktionen innerhalb des chinesischen Machtapparates weiterhin eine sehr engstirnige Definition der nationalen Selbstinteressen verfolgen und sich dabei nicht um den Erfolg globalen Regierens scheren. Kurzum: Gespeist durch eigene Unsicherheit hat China Angst, eine globale Führungsrolle zu übernehmen und vermeidet tunlichst, feste Verpflichtungen einzugehen. Damit trägt China zu allererst dazu bei, dass internationale Kooperation zunehmend als Nullsummenspiel betrachtet wird.

Es scheint also augenscheinlich richtig und überzeugend, dass europäische Spitzenpolitiker, insbesondere aus Deutschland, in immer harscheren Tönen erklären, man wolle China bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen stärker in die Pflicht nehmen. Chinas Führung, so die Verlautbarungen, muss endlich das globale Verantwortungsbewusstsein entwickeln, das von einer aufstrebenden Großmacht zu erwarten ist. Doch wie trägt man am besten zu Chinas globalem Verantwortungsbewusstsein bei?

Paradoxerweise verhindert Europa durch seine vorherrschende Praxis der leeren Floskeln und wiederkehrenden mahnenden Worte die Einbindung Chinas in ein multilaterales System geteilter Verantwortung. Denn sobald es an die dazu notwendigen Konkretisierung der vagen und unverbindlichen Forderungen nach mehr globaler Verantwortung von Seiten Chinas geht, wird es still in den Reihen der europäischen Multilateralisten. Die wohlklingende europäische Rhetorik des "effektiven Multilateralismus" verschleiert, dass die europäische Zögerlichkeit bei der konkreten Ausgestaltung einer verstärkten Rolle Chinas das verantwortungslose Verhalten der Pekinger Entscheidungsträger enorm erleichtert. Einen angemessenen, aber möglichst undefinierten Beitrag von China anzumahnen, geht leicht über die Lippen. Es macht sich auch gut bei Wählern, den Misserfolg internationaler Kooperation auf Chinas mangelnde Kooperationsfähigkeit zu schieben.

Aber wer wünscht sich ernsthaft einen Parteibonzen an der Spitze der Weltbank oder ehemalige Rotgardisten als Kommandanten internationaler Friedenstruppen in Afghanistan, Sudan und Kongo? Wer wünscht sich ernsthaft eine ehrliche Partnerschaft mit China auf Augenhöhe, eine wirklich geteilte Verantwortung mit allen Pflichten aber eben auch all den Rechten, die dazu gehören? Wenn es um die konkreten Schritte geht, die von China gegangen und vom Westen zugelassen werden müssen, um China zu einem global verantwortungsvollen Partner zu machen, schlägt die lähmende China-Angst zu und lässt alle multilaterale Rhetorik der Europäer blitzschnell verstummen.

Diese China-Angst gründet sich zum einen auf ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber jeglichen chinesischen Absichten – gespeist durch die schwierigen Erfahrungen mit Chinas autoritärem Herrschaftssystem, durch Chinas ungeschickten und paranoiden Umgang mit vermeintlichen Einfallstoren westlicher Sabotage wie am Beispiel Google zu sehen war, sowie durch ein weit verbreitetes Unverständnis der chinesischen Zusammenhänge und Beweggründe. Zum anderen beruht die China-Angst aber auch auf der Furcht vor dem eigenen Einflussverlust, der mit einer verstärkten chinesischen Rolle einhergeht.

Szenarien eines erhöhten chinesischen Engagements lösen in Europa nicht etwa Vorfreude auf die Verwirklichung des effektiven Multilateralismus aus, sondern beschwören vielmehr die Furcht vor der eigenen Marginalisierung auf der internationalen Bühne. Durch ihr Festhalten an nationalen Machtsymbolen betreiben die einzelnen Mitgliedstaaten der EU jedoch nichts anderes als die eigene globale Selbstentmachtung. Sie berauben sich der Gestaltungsmöglichkeiten einer auf gemeinsamer Teilhaberschaft beruhenden Einbindungsstrategie gegenüber China. Am Ende behindert die EU damit effektives globales Regieren. Wahrlich keine stolze Bilanz für die multilaterale Friedensmacht Europa.

Europas China-Angst ist also ein Symptom mangelnden Selbstvertrauens, das die Spitzenpolitiker der EU daran hindert, einen Weg zu finden, sich gemeinsam mit China den globalen Herausforderungen zu stellen und sie eher dazu verleitet, in populistischen Tiraden auf Peking einzuschlagen. In Kombination mit Pekings eigener Paranoia gegenüber internationaler Kooperation ergibt sich daraus ein Teufelskreis globaler Handlungsunfähigkeit.

Es ist höchste Zeit, dass sich Europa von den Fesseln der China-Angst befreit und gegenüber China in eine konkrete Agenda gemeinsamer Lösungsstrategien entwickelt. Eine solche Agenda wäre auch überzeugend genug, um kurzfristige nationale Interessen im Zaum zu halten und damit die viel beschworene "gemeinsame Stimme" in der Welt zu verwirklichen. Institutionell sind die Weichen dafür mit der Umsetzung des Lissabonvertrags nun gestellt. Auch auf bürokratischer Ebene ist es um die Zusammenarbeit zwischen Europa und China nicht schlecht bestellt. Das bestehende Netzwerk EU-chinesischer Zusammenarbeit und des Austausches auf der Arbeitsebene zwischen EU-Kommission und weiten Teilen des chinesischen Staatsapparats kann als stabile Basis und effektives Instrument für die gemeinsame Bewältigung globaler Probleme dienen. Diese neue Form europäischer Netzwerkdiplomatie stützt sich auf tragfähige Allianzen zwischen europäischen Sachexperten und chinesischen Regierungsakteuren, die der Kooperation offen gegenüberstehen. Doch durch den Mangel an politischer und strategischer Steuerung auf europäischer Ebene wird dieses enorme Potenzial meist bereits im Keim erstickt.

Die jährlichen EU-China-Gipfel sind stellvertretend für diesen Trend. Durch Mangel an politischer Steuerung und Initiativbereitschaft verkommen sie zumeist zu bürokratischen Routineveranstaltungen. Um dem entgegenzuwirken, müsste die europäische Führungsspitze bei solchen Gelegenheiten klare politische Prioritäten vortragen können. Das könnten aktuell beispielsweise konkrete Initiativen zur Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufs unter der Ägide der Internationalen Atomenergiebehörde sein, die zum schlagkräftigen Instrument werden könnten, gemeinsam die iranische Atomkrise zu entschärfen. Das setzt jedoch den politischen Willen zum gemeinsamen Gestalten globaler Ordnungspolitik voraus.

(Quelle:Zeit online, 22.4.2010 )

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