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Ein paar Bemerkungen zum neunten China-Besuch von Merkel

2016-06-16

Vom 12. bis 14. Juni wird Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren neunten Chinabesuch absolvieren. Hauptzweck dieser Reise ist zusammen mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang die vierte Runde der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen zu leiten, mit führenden chinesischen Persönlichkeiten die bilaterale Zusammenarbeit vor allem im Bereich der Wirtschaft voranzutreiben sowie Meinungen über regionale und internationale Fragen auszutauschen, die für beide Seiten von Bedeutung sind. Während Merkels Aufenthalt in China finden als Flankierung auch die Tagung des Deutsch-Chinesischen Gemischten Wirtschaftsausschusses und das Forum zur Zusammenarbeit in Wirtschaft und Technologie statt. Bei ihren vorangegangenen Chinareisen hatte Merkel Shanghai, Guangzhou, Xi'an, Chengdu und Hefei besucht, diesmal wird sie nach Shenyang kommen, um sich ein Bild von den Besonderheiten Nordostchinas zu machen, insbesondere wird sie dabei Möglichkeiten prüfen, die sich für beide Seiten im Zuge der industriellen Umstrukturierung und Wiederbelebung dieser Region ergeben.

Der Mechanismus der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen wurde im Oktober 2010 beschlossen. Es ist bislang der einzige Mechanismus der Regierungskonsultationen unter Vorsitz der Regierungschefs, den China mit einer westlichen Industrienation unterhält, dies ist damit auch ein wichtiges Symbol für die Breite und Tiefe der Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland. Bisher hatten die Regierungskonsultationen insgesamt drei Mal stattgefunden. Jedes Mal nahmen von beiden Seiten zusammengenommen mehr als 20 hochrangige Beamte auf Minister- bzw. stellvertretender Ministerebene daran teil. Aus diesem Grund werden die Regierungskonsultationen auch als „chinesisch-deutsche Kabinettssitzung" bezeichnet. Bei den bisherigen drei Runden der Regierungskonsultationen sind sehr bedeutsame Resultate erzielt worden, die für die Anleitung und Steuerung der Entwicklung der bilateralen Beziehungen und für Koordinierung und das Vorantreiben der praktischen Zusammenarbeit eine wichtige Rolle spielten.

Während der ersten Runde der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen im Jahr 2011 wurden elf Regierungsabkommen und fünf Handelsverträge im Wert von 15 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Beide Seiten einigten sich auf eine Reihe von Kooperationsprojekte, die von strategischer und wegbereitender Bedeutung sind. Dazu zählte die strategische Partnerschaft für Elektromobilität, der Aufbau der deutsch-chinesischen Allianz für Berufsbildung, die Durchführung des Forums für Finanzstabilität, die Entwicklung spezieller Kredite für KMUs, die Gründung der chinesisch-deutschen Kommission für Zusammenarbeit in der Normung, die Plattform für Innovationspolitik und Zusammenarbeit im Bereich Biowissenschaften sowie die Durchführung des Mediendialogs.

In der zweiten Runde der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen im Jahr 2012 wurden 13 Regierungsabkommen und fünf Handelsverträge im Wert von 7 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Die chinesisch-deutsche Beziehung wurde auch als zukunftsorientierte strategische Partnerschaft definiert. Im Rahmen dieser Partnerschaft wurde ferner beschlossen, einen deutsch-chinesischen gemischten Wirtschaftsausschuss zu gründen, eine Partnerschaft für erneuerbare Energien aufzunehmen, einen Dialog über die moderne Fertigungsindustrie durchzuführen, neue Wachstumspunkte für die Zusammenarbeit zu finden, die Zusammenarbeit in den Bereichen grüne Wirtschaft, nachhaltige Urbanisierung, intelligente Stromnetze und in der Erforschung der Meere und Polarregionen zu verstärken, die Handelskonflikte in Photovoltaik und Mobilkommunikation durch Kooperation und Dialog zu lösen sowie die Verwendung des RMB und des Euros durch Finanzinstitutionen und Unternehmen im bilateralen Handel und bei Investitionen zu unterstützen.

Die dritte Runde der Regierungskonsultationen sollte in erster Linie die wichtigen grundsätzlichen Entscheidungen, die während des Staatsbesuches von Präsident Xi Jinping im März desselben Jahres getroffen wurden, in die Tat umsetzen. Unter dem Motto „Innovation gemeinsam gestalten!" einigten sich beide Länder auf einen gemeinsamen Aktionsrahmen für die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit, der eine Blaupause für die mittel- und langfristige Kooperation beider Seiten darstellt. Zur Vertiefung der umfassenden strategischen chinesisch-deutschen Partnerschaft wurde die Einrichtung einer Innovationspartnerschaft und eines hochrangigen chinesisch–deutschen Finanzdialogs sowie die Durchführung eines strategischen außen- und sicherheitspolitischen Dialogs, Dialoge auf Ministerebene für Gesundheitswesen, zur Agrarpolitik sowie für die Zusammenarbeit hinsichtlich der Strategie Industrie 4.0 und in Forschung und Entwicklung beschlossen. Ferner wurden mehr als zehn Regierungsabkommen für Kooperation und neun Handelsverträge im Wert von 11,5 Milliarden US-Dollar unterzeichnet.

Gerade aufgrund der obengenannten drei erfolgreichen Regierungskonsultationen sowie angesichts des hohen Stellenwertes Deutschlands in Europa und der aktuellen Probleme in der internationalen Gemeinschaft wird Merkels neunter Chinabesuch große Aufmerksamkeit geschenkt und weckt hohe Erwartungen.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass sich die chinesisch-deutschen Beziehungen gegenwärtig im Großen und Ganzen positiv entwickeln. Obwohl sich das Handelsvolumen beider Länder im Vorjahr wegen der schwachen Weltkonjunktur und anderer Faktoren auf beiden Seiten um 11,8 Prozent verringerte, bleibt Deutschland weiterhin der wichtigste Handelspartner Chinas in Europa und ist außerdem das europäische Land, das die meisten Direktinvestitionen in und Technologietransfers nach China getätigt hat. Deutschland spielt nach wie vor eine führende Rolle in der chinesisch-europäischen Wirtschaftskooperation. Gleichzeitig wachsen die Investitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland rasanter als die Investitionen deutscher Unternehmen in China. Unübersehbar sind auch die Erfolge im Austausch und bei der Zusammenarbeit im Bildungs- und Kulturbereich. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Kulturaktivitäten wie das Chinesisch-Deutsche Jahr der Wissenschaft und Bildung, Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung, das Kulturjahr Chinas in Deutschland, das Chinesisch-Deutsche Sprachenjahr und das Chinesisch-Deutsche Jahr der Innovationskooperation in China und/oder Deutschland veranstaltet. Des Weiteren findet 2016 das Deutsch-Chinesische Jahr für Schüler- und Jugendaustausch statt. Doch jede Medaille hat zwei Seiten, und so gibt es auch in der Entwicklung der chinesisch-deutschen Beziehungen Probleme, die Aufmerksamkeit erregen, Anlass zu Besorgnis geben und einer geeigneten Lösung bedürfen.

Eines der Probleme in jüngster Zeit liegt darin, dass die deutsche Eisen- und Stahlbranche China Preisdumping vorwarf und die Regierung Merkel aufforderte, Doppeluntersuchungen durchzuführen und Sanktionen gegen China zu verhängen, was Ausdruck eines erneut aufkeimenden Handelsprotektionismus ist. In der Tat sind die globalen Überkapazitäten der Eisen- und Stahlindustrie eine Folge der stagnierenden Weltwirtschaft und die Probleme der deutschen Eisen- und Stahlindustrie wurden nicht durch China verursacht. Sanktionen sind ein zweischneidiges Schwert. So führten die EU-Sanktionen gegen Russland zu entsprechenden Reaktionen auf der Gegenseite und beide Parteien erleiden Verluste, so dass Europa zurzeit weder ein noch aus weiß. Falls Deutschland dem Beispiel der USA folgen und Sanktionen gegen China verhängen sollte, könne es den bilateralen Beziehungen nur Schaden zufügen.

Eine zweite Frage lautet, ob die 15. Vergleichslandklausel, die Teil des Abkommens zu Chinas WTO-Beitritt ist, am Jahresende vertragsgemäß abgeschafft werden kann. Das Europäische Parlament verweigerte China jüngst in einer Resolution die Anerkennung als Marktwirtschaft, um die EU-Kommission daran zu hindern, das vor 15 Jahren gegebene Versprechen einzuhalten, was für China inakzeptabel ist. Man wartet mit Spannung ab, was für eine Haltung Deutschland als das Land mit dem größten Einfluss auf Entscheidungen der EU dazu einnimmt.

Drittens haben China und Deutschland, wie schon dargelegt, zahlreiche Konsense erzielt bzw. Vereinbarungen getroffen. Entscheidend ist jedoch, ob bzw. wie weit diese in die Tat umgesetzt werden. Auf deutscher Seite lässt sich eine Tendenz zur Einschränkung des Technologietransfers und ein zögerliches Verhalten beispielsweise bei der Zusammenarbeit im Bereich "Industrie 4.0" beobachten. Einige Medienberichte verbreiten in der Öffentlichkeit die Auffassung, dass China Deutschland die Butter vom Brot nehmen würde, sobald es sich moderne Technologien angeeignet und zu einem Konkurrenten geworden ist. Darin zeigt sich eine Denkweise des „Nullsummenspiels". Wir kommen also nicht umhin, an der Bereitschaft und Aufrichtigkeit der deutschen Seite hinsichtlich der High-Tech-Kooperation zu zweifeln.

Viertens ist es ganz natürlich, dass beide Länder aufgrund ihrer unterschiedlichen Gesellschaftssysteme, ihrer unterschiedlichen historischen und kulturellen Traditionen, ungleicher Entwicklungsstände und Interessenlage unterschiedliche Meinungen vertreten können. Daher besteht China in seinen bilateralen Beziehungen nachdrücklich auf Prinzipien des gegenseitigen Respekts, der Suche nach Gemeinsamkeiten unter Zurückstellung von Differenzen. Man hat jedoch den Eindruck, dass manche deutsche Politiker diese Prinzipien nicht so sehr akzeptieren. Manche vermitteln den Eindruck, als Lehrermeister aufzutreten, ein besserwisserisches Verhalten an den Tag zu legen und versuchen, andere zu verändern. Dies beeinträchtigt nicht nur das politische Vertrauen zwischen beiden Seiten, sondern wirkt sich auch negativ auf das deutsche Image aus und schadet letztendlich der Zusammenarbeit zu beiderseitigen Vorteilen und Gewinnen.

Fünftens hält China stets an seiner unabhängigen und souveränen Außenpolitik des Friedens fest, es befolgt das Prinzip, Partnerschaften zu schließen bei gleichzeitiger Blockfreiheit. China entscheidet nach objektiver Beurteilung der Sachlage seine Haltung und Politik, wohingegen Deutschland erklärtermaßen in der von den USA dominierten NATO verwurzelt ist. Man kann nicht umhin zu fragen, bis zu welchem Grad Deutschland in seiner Haltung zu China nicht von seiner Bündnispolitik beeinflusst wird. Die jüngsten Äußerungen Deutschlands zu Fragen des Südchinesischen Meeres zeigen immer deutlicher eine Tendenz, im Gefolge der USA in territorialen Fragen Partei zu ergreifen, was sehr befremdend wirkt.

Aus den obengenannten Gründen besteht die Hoffnung, dass Merkels neunte Chinareise zur Beseitigung von Hindernissen, die das beiderseitige politische Vertrauen und eine noch engere und pragmatische Zusammenarbeit beeinträchtigen könnten, beiträgt und weitere Glanzpunkte der beiderseitig nutzen- und gewinnbringenden Beziehungen herbeiführen möge, zum Wohl unserer beider Völker und der freundschaftlichen kooperativen Beziehungen zwischen China und Europa sowie im Interesse des Aufbaus einer Welt des dauerhaften Friedens und der gemeinsamen Prosperität.

(Der Autor Mei Zhaorong ist ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland und Gastforscher am Chinesischen Institut für Internationale Studien.)

Quelle: Beijing Rundschau

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